Natalia und Sergej

Gestern klingelten wir bei der Gästewohnung, wo sie seit einer Woche eine Wohnmöglichkeit bei unserer Baugemeinschaft gefunden haben.
Natalia öffnete die Wohnungstür und stand uns gegenüber. Wir begegneten uns zum ersten Mal. Wortlos überreichten wir ihr eine Tüte Weizenmehl. Nachdem wir es ihr überreicht hatten, ließen wir den auf Ukrainisch übersetzten Text im Audio aus dem Handy laufen.
Weil wir weder ukrainisch noch russisch sprechen können, bereiteten wir in google übersetzer darauf vor, damit wir mit Natalia und Sergej kommunizieren können, warum wir sie besucht haben.
Die künstliche maschinelle Stimme aus dem Handy lief:

Hier sind Kyung-hwa aus Korea und Niko aus Griechenland. Wir haben gehört, dass du das Weizenmehl und Sonnenblumenöl brauchst. Hier ist Weizenmehl. Morgen bringen wir dir Sonnenblumenöl.

Schweigsam war sie. Ihr Blick auf uns war so, dass ich hier keine treffliche Beschreibung darüber machen kann. Schlicht geschrieben, sehr berührt.
Kurz und knapp sagte sie „Danke!“. Ich nehme an, dass DANKE aller erstes ausgesprochenes gelerntes deutsches Wort von ihr seit der Ankunft in Deutschland sein mag.
Gegenseitig hatten wir sofort bedingungsloses Vertrauen und voller Mitgefühl, obwohl wir uns gar nicht kannten.

Heute Nachmittag klingelte es bei uns. Als Niko die Tür öffnete, stand Sergej vor der Wohnungstür. Er brachte uns selbstgemachten frischen Pfannkuchen mit Vanillenzucker.
Obwohl Sergej kein einziges Wort sprach, verstand Niko, was der Geruch nach Vanillenbutter aussagt. Die beiden standen gegenüber näher als ein Meter, Corona vergessen, und lachten gemeinsam, den Krieg vergessen.

Weizenmahl und Sonnenblumenöl
Natalia und Sergej gingen zum Supermarkt, um Lebensmittel einzukaufen. Fast alles, was sie brauchten, fanden sie auf dem Discounter. Weizenmehl und Sonnenblumenöl fanden sie nirgendwo. Überall waren die Regale leer, wo sie eigentlich stehen sollten. Es waren alle.

Seitdem Ukraine-Krieg ist der Preis von Weizen massiv gestiegen.
Ukraine und Russland sind bedeutende Exporteure auf dem internationalen Weizenmarkt. Gut ein Viertel der weltweiten Exporte an Sonnenblumenöl kommen auch aus der Ukraine und Russland.

Natalia und Sergej aus Charkiw, die wegen des russischen Angriffs nach Hamburg fliehen müssten, konnten ihr Grundnahrungsmittel, Weizenmehl und Sonnenblumenöl, auf alle Discounter ALDL, LIDL, REWE in Altona am Tag… nicht einkaufen, sowohl wegen der abgebrochenen Lieferketten, wie auch wegen der Hamsterkäufe.
Am Tag konnten sie keine Wareniki in Sonnenblumenöl anbraten. Somit reichten die Langfinger von Putin und seinen Kumpanen nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Europa, ja überall auf der Welt.

Heute in den Nachrichten wurde davon berichtet, wie ein Landwirt aus Saporischschja gerade im Krieg mit dem Traktor auf seinen Acker fuhr. Er hatte die kugelsichere Weste und einen Helm auf dem Kopf an.

In ein paar Tagen besuchte Niko die beiden ohne Voranmeldung.
Sie leiden nicht nur unter dem „es ist nicht so einfach an Weizenmehl und Sonnenblumenöl ran zu kommen“, sondern auch unter der Einsamkeit hier im NeuZuHause. Sie sprechen Ukrainisch und Russisch aber kein Englisch. Das Einfach-So-Plaudern fehlt den beiden. Niko hatte vor, dass allesamt sich mal unterhalten, mithilfe der Handys, genauer gesagt den Google Übersetzer mit der audio-visuell-Funktion. Einen Nachmittag verbrachten sie miteinander im Dialog dank Google Übersetzer.
Natalia und Sergej waren sogar viel besser bei der Anwendung.
Während Niko die Sätze mit einem Finger langsam tippte, sprachen die beiden schnell auf Ukrainisch am Mikrofon aus. Automatisch erschienen die ausgesprochenen Sätze auf Deutsch in Display.

Natalia zeigt die Bilder aus einem Ukrainischen Nachrichtensender, sein Logo „TPYXA“ auf Kyrillisch erscheint unten im Display von einem brennendem Plattenbau in Charkiw. Der Nachrichtenmoderator spricht über den Krieg und auf dem Display erscheint „Niemand erwartet.“ Oder „Wir verstehen nicht. Warum ist das?“…. Natalia würde auch gerne sehen wollen, ob die eigene Wohnung in Charkiw immer noch steht und wenn ja, ob sie beschädigt ist. Bis jetzt konnte sie nicht auf den TV-Bildern feststellen, ob ihr Wohngebäude zerbombt wurde oder mit Glück, es bis jetzt überstanden hat. Ihre Angst und ihre Agonie wird deutlich in den Augen lesbar.

Niko: „Nächsten Sommer ist der Krieg vorbei. Ihr seid dann schon wieder zu Hause (Seine Aussage erheitert Natalia und Sergej). Dann besuche ich euch und bitte reserviere ein Zimmer in einem Hotel, für mich in Charkiw (Die beiden lächelten)”.
Natalia und Sergej: „Nein, dann übernachtest du bei uns, nicht im Hotel (Rasch verdunkelt sich die Stimmung von Natalia)“.
Natalia: „Aber wenn mein Haus immer noch steht. Vielleicht ist es schon nicht mehr da. Vielleicht ist alles kaputt“.
Niko: „Wenn das Haus kaputt ist, besuche ich euch mit Bohrmaschine und Werkzeuge, dann werden wir es reparieren (Die beiden umarmten Niko und lachten alle drei gemeinsam herzlich. Sie vergossen Corona)“.